Ich gebe zu, ich bin nicht direkt betroffen. Aber mich macht es betroffen, mit welchem Aktionismus und auch Nichtaktionismus derzeit in Deutschland und speziell in Baden-Württemberg (da bin ich nun mal am ehesten betroffen) die steigenden Infektionszahlen im Zusammenhang mit der Covid19-Pandemie reduziert werden sollen.
Mit einem „Lockdown light“ am 3.11 wurden sämtliche Freizeitangebote reduziert. Eine Branche, die zum großen Teil den Frühjahres-Lockdown dafür genutzt hat, um Konzepte zu entwickeln und Ausstattung zu verbessern, so dass einerseits das Infektionsrisiko gesenkt und zum anderen die Nachverfolgung von Kontakten vereinfacht wird. Ich wage mal zu behaupten, dass keine Schule dieses Landes eine bessere Belüftung der Räume sicherstellt, als dies z.B. ein Kinosaal bietet.
Kinos sind seit jeher i.d.R. Räume, die keine Fenster besitzen und daher eine andere (vermutlich auch bessere) Versorgung mit Frischluft für eine große Menge Menschen garantieren muss. Jedes Theater und jeder Gastronom haben in den Monaten nach dem Lockdown mehr in Vorkehrungen investiert als Kultusministerium und Schulen. Es reicht nicht, einfach Geld zur Verfügung stellen und kein Konzept zu haben. Warum haben sich neben den Schülern auch die Kultusministerien in den Sommerferien zurück gelehnt? Wäre das nicht der optimale Zeitpunkt gewesen, um sich zu überlegen, wie es in der Zeit nach den Ferien ohne Impfstoff weitergehen kann? Wie kann unter diesen Voraussetzungen versprochen werden, den Schulbetrieb mit Präsenzunterricht „so lange wie möglich“ aufrecht zu erhalten? Was bedeutet überhaupt „so lange wie möglich“? Ab wann ist es denn nicht mehr möglich? Wurde der Punkt definiert? Mir ist bisher keine Information über diese Definition bekannt. Was soll das?
Und wer zum Teufel hat definiert, dass bei Präsenzunterricht die komplette Klasse in einem Raum sitzen muss? Wir haben eine Industrie lahm gelegt, indem Messen, Konferenzen und sonstige Veranstaltungen einfach abgesagt und verboten wurden. Warum nutzen wir diese Expertise nicht in den Schulen?
Da steht beispielsweise die Stadthalle leer, die Vereinsheime etc. die große Flächen haben und in denen die Schüler mit größerem Abstand und mehr Platz viel besser Abstände einhalten könnten. Warum ist es für einen 8. Klässler nicht zumutbar, einen Vormittag von zu Hause an Unterrichtsstunden über digitale Plattformen zu erhalten? Wäre es nicht sinnvoll, die Klassenstufen 7-12 – von mir aus auch ohne die Abschlussklassen – im Homeschooling zu unterrichten?
Effekt: Es wären einige Räume in den Schulgebäuden frei und die anwesenden Klassenstufen könnten auf mehrere Räume verteilt werden. Und nein, man braucht dazu keinen zusätzlichen Lehrer. Auf Konferenzen werden schon seit mehreren Jahren die Vorträge in mehrere Räume übertragen. Und jetzt: Diese Technik steht ungenutzt in den Lagern der Veranstaltungsfirmen. Der Staat muss diese Branchen mit Geldern stützen. Wie wäre digitaler Präsenzunterricht, bei dem einfach der Unterricht von einem Klassenzimmer in das Klassenzimmer von nebenan übertragen wird? Das sollte nicht am schlechten Internet scheitern. Haben die Mitarbeiter in Kultusministerium und Schulen überhaupt keine Phantasie? Und über die Finanzierung brauchen wir hier nicht zu reden, die Coronahilfen laufen – dafür könnte man genau so gut die Technik und das Know-how anmieten.
Ich bin enttäuscht, dass nur wenige Lehrkräfte sich in diesem Bereich engagieren (wollen/können/dürfen). Ich weiß auch, dass es vereinzelt trotzdem Leuchttürme gibt, die zeigen, wie es gehen kann. Aber: Die Unflexibilität und Überforderung der Ministerien schreit zum Himmel! Die Lösungen beim Nahverkehr? Fehlanzeige! Ich habe hier noch von keinem Bundesland gehört, in dem mehr Busse/Züge/Bahnen als vorher eingesetzt werden. Hier verlassen sich Kultus- und Verkehrsministerium auf sich gegenseitig nach dem Motto „nimm du, ich hab ihn“. Nichts passiert.
9 Mrd. für die Lufthansa. Für dieses Geld hätte man ca. 45 Mio Tabletcomputer á 200 EUR kaufen können. Dann wäre die unsägliche Diskussion á la „soziale Differenzen, digitale Ausstattung“ im Keim erstickt. Jeder Schüler erhält einen Tabletcomputer. Laut Statista befanden sich 2019/2020 ungefähr 8,33 Mio. Schüler in Ausbildung an allgemeinbildenden Schulen. Nehmen wir noch die Berufsschüler etc. großzügig mit der gleichen Anzahl an. Da hätten dann auch 3 Mrd. für die Ausstattung gereicht.
Der Effekt der Schulschließung bei einer pandemischen Lage sollte schon seit 1918 bekannt sein und wird von aktuellen Erkenntnissen und Auswertungen immer häufiger untermauert. Sämtliche Virologen werden nicht müde, dies zu wiederholen. Meines Erachtens war und ist der „Lockdown light“ eine Einschränkung ohne große Verbesserung der Lage und zusätzlich – das ist viel schlimmer – gefährden solche Aktionen die Akzeptanz der Bevölkerung an den Maßnahmen an sich.
Das Versprechen von Frau Merkel „Weihnachten zusammen feiern“ kann wohl auf Grund inkonsequentem Handeln und Versagen in einzelnen Bundesländern und Ministerien eher vergessen werden. Und dafür kann Frau Merkel nichts. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten die Maßnahmen wohl schon Mitte Oktober anders ausgesehen…