Euphorie. Nein, doch nicht

Ich bin erstaunt, wie wenig wir als Gesellschaft dazugelernt haben. Ich meine das jetzt nicht technisch sondern generell. Im Sommer war ich durchaus positiv gestimmt, was Musik und Konzerte angeht. Die Inzidenzen waren human, die Pflege und Versorgung hatte ihre üblichen Probleme – ja, wir haben ein Problem in der Krankenhausversorgung! – aber nichts, was nicht zu schaffen war.

Italien. Ein Vorbild?

Ich war sogar im Urlaub. Für eineinhalb Wochen in Norditalien. Norditalien, das muss man dazu wissen, war zu Beginn der Pandemie ein Krisenherd mit vielen Toten, die zeitweise durch das Militär auf LKWs abtransportiert werden mussten. Man erinnere sich an Bergamo. In Mailand und Verona (zwischen den beiden Städten in der Mitte liegt übrigens Bergamo) war dies spürbar. Die Maskenpflicht wurde konsequent eingehalten, Impfzertifikate wurden gescannt und mit dem Ausweis abgeglichen. Viele Italiener trugen sogar noch im Freien eine Maske. Zum Zeitpunkt meiner Reise war die Maskenpflicht im Freien jedoch schon einige Wochen aufgehoben. Ich war überrascht, wie sorgfältig die Italiener mit dieser Situation umgehen.

Digitaliener.

Ebenso überrascht war ich von den digitalen Möglichkeiten dort. Hier hat jemand zu Beginn der Pandemie einen Plan zur Digitalisierung des Gesundheits- und des gesamten Staatswesens gemacht und vor allem dann auch umgesetzt. Jeden beliebigen Antrag kann man in Italien inzwischen online machen. Das ganze heißt dann SPID (Sistema Pubblico di Identità Digitale). Damit kann man sogar Unterschriften für Volksbegehren sammeln.

Durch diese Möglichkeiten und die konsequente Umsetzung der Regeln waren in Italien auch viele Dinge schon wieder möglich, die in Deutschland noch weit weg waren. Ich war in Mailand z.B. im Stadion bei einem Spiel der Serie A (Inter vs. Bologna). Ich habe die ganzen Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln gemacht. Ich war in Verona in einem Open Air Konzert in der Arena. Und ich hatte kein schlechtes Gefühl dabei. Überall wurde die Temperatur gemessen, die Zertifikate geprüft und mit den Ausweispapieren abgeglichen.

Preußischer Gehorsam?

Zurück in Deutschland hatte ich mich schon so an die Maske und die organisierten Abläufe in Italien gewöhnt, dass ich mich selbst so verhalten habe.

Doch Deutschland wirkt in solchen Momenten eher, als gäbe es keine Regeln, und falls doch, werden diese nicht kontrolliert. Wenn es dann doch einmal Kontrollen gibt, werden die Menschen unfreundlich und selbst wenn gegen die Regeln verstoßen wurde, gab es keinerlei Konsequenzen. Das begann exakt im EuroCity von Bozen nach München. Das war der erste Zug, in dem niemand die Impf- bzw. Testzertifikate überhaupt auch nur angeschaut hat. Seltsam.

Exkurs zur Einordnung: In Italien wurden diese IMMER kontrolliert. An großen Bahnhöfen wurde sogar die Temperatur vor dem Zutritt zu den Gleisen gemessen. Wurde man ohne Maske im Zug erwischt, war die Fahrt an der nächsten Station zu Ende. Ohne wenn und aber. Ich habe aber auch niemanden ohne Maske im Zug in Italien gesehen.

Mit dem in Italien gelernten kam ich voller Vorfreude zurück und dachte tatsächlich, wenn das doch alles so gut klappt, dann können wir bald wieder Livemusik und Kultur erleben. Doch weit gefehlt. Aber der Reihe nach.

Lichtblicke 2020

Im September durfte ich tatsächlich auf einer 2G Firmenfeier spielen. Das war doch schon ein Anfang. Dazu kamen noch die Open-Airs im August und September, die ich auch hier schon angekündigt hatte. Doch auch hier war schon zu spüren, dass das in Deutschland nicht so reibungslos funktionieren könnte. Eine der Veranstaltungen wurde wegen starkem Infektionsgeschehen beim Veranstalter abgesagt. Nun gut.

Ende November sollte dann tatsächlich ein Konzert mit einem Orchester stattfinden. Doch schon eine Woche zuvor wurden Zweifel daran wegen der aktuellen Infektionszahlen immer größer. Daher wurde dieses Konzert innerhalb einer Woche zum Hybrid-Event umgestaltet. Der Zugang vor Ort war unter 2G möglich.

Der Erfolg dieser 2G + Live-Stream Veranstaltung hinterließ in mir eine wohligen kleinen Anflug von Euphorie. Vor allem auch deswegen, weil ich bereits drei offene Anfragen für das erste Quartal 2022 habe. Doch inzwischen sieht es wohl eher so aus, dass wir noch nicht einmal mehr dafür proben können. Die Verordnungen des Landes erfordern Bedingungen, dass wir so einfach keine geeigneten Proberäume organisieren können.

Im Wahlkampf ist keine Pandemie

Inzwischen habe ich immer mehr das Gefühl, dass der Wahlkampf dazu geführt hat, dass die Politik nur mehr reagiert und gar nicht mehr zum agieren kommen kann. Es klemmt und brennt an allen Ecken und Enden. Um keine Wähler zu verprellen wurden Demonstrationen von meist rechtsextremen Anmeldern genehmigt und nicht konsequent unterbunden, sobald die ohnehin nicht mehr an das kommende Geschehen angepassten Auflagen verletzt wurden.

Nein, das waren „besorgte Bürger“ und „Kritiker der Maßnahmen“. Ja, die waren dabei – instrumentalisiert durch die rechte Szene. Wer das genauer recherchiert haben möchte, kann dies hier nachlesen. Achtung, das ist lang und viel!

Und wieder: Keine Bühne, keine Musik

Was bleibt für mich? Frust, Home-Office und keine Aussicht auf Besserung der Musiklage. Klar, ich habe noch ein Einkommen. Das ist auch gut so.

Aber was ist mit denen, die keines haben und davon leben müssen? Wenn eine Veranstaltungsfirma im Jahr 2021 genau 4 – in Worten VIER – Aufträge hatte, und mir den Verleih von zwei Funkmikrofonen als Auftrag verkauft, dann kann sich das nicht (mehr) lohnen. Sollten wir es tatsächlich schaffen, die Herdenimmunität in den nächsten Monaten zu erreichen, wird die nicht geförderte Kultur der kleinen Veranstalter entweder sehr teuer oder es gibt sie nicht mehr.

Auch wenn es keinen Lockdown gibt. Das aktuelle gesamt-gesellschaftliche Verhalten und die daraus entstehenden politischen Maßnahmen lassen Kunst und Kultur auf der Strecke. Ein virtueller Lockdown.

Mit diesen euphorischen Schlussworten wünsche ich uns allen eine Erleuchtung. Frohe Adventszeit!

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