Reichweite… sonst nix

Ich bin in keinem der gängigen sozialen Netzwerken aktiv vertreten. Das hat verschiedene Gründe. Mit Ausnahme von Twitter, dort folge ich hauptsächlich Journalisten, Zeitungen und Politikern. Ich selbst habe nur 40 Follower. Aber das macht nix.

Ich habe jedoch das Gefühl, dass sich in den letzten Monaten auch auf Twitter die Informationskultur – das ist ein Kurznachrichtendienst – massiv an Qualität eingebüßt hat. Es gibt immer mehr Themen bei denen sich zwei Lager spalten, anstatt die Informationen zunächst einmal zu lesen. Links werden selten geklickt, die meisten begnügen sich mit den Überschriften ohne genauer die Inhalte zu kennen. Halbwissen regiert.

Dieses Phänomen kenne ich noch von Facebook – kurz bevor ich der Plattform den Rücken gekehrt habe. Doch es gibt noch ein weiteres Problem.

Influencer

Es spielt für mich keine Rolle, auf welcher Plattform ein sogenannter Influencer seine Reichweite hat. Im Zweifel landet er auch mit einem Instagram Post in den Twitter-Trends. Das ist okay so, damit kann ich leben.

Leider nutzen einige Influencer ihre Reichweite ziemlich unüberlegt und unreflektiert. Wenn ich eine große Anzahl an Followern, Fans, etc. habe, dann muss ich mir meines Handelns auf der entsprechenden Plattformen bewusst sein. Da spielt es keine Rolle, ob ich auf YouTube, Twitch, Instagram oder sonst wo agiere.

Zur Zeit beobachte ich, dass die Stimmungen zu einem Thema schnell umschlagen können. Nehmen wir das Beispiel #GilOfarim und das #Westin Hotel in Leipzig.

Der Beispielfall

Was war da passiert? Am 5. Oktober postete Gil Ofarim (155.000 Abonnenten) auf seinem Instagram Account ein Video (3,5 Mio Ansichten), in dem er vor dem Westin Leipzig sitzt und erzählt, dass er wegen seiner Kette nicht einchecken durfte und viele andere Gäste an der Rezeption vorgezogen wurden. Der Begleittext lautete:

ANTISEMITISMUS in Deutschland 2021 !.. gestern in Leipzig warum?.. haben wir denn nichts nichts aus der vergangenheit gelernt?.. bin sprachlos!.. es ist nicht das erste mal, aber irgendwann reicht es ich möchte mich ausdrücklich bedanken bei den kollegen @constantin_entertainment , @gregormeyle , @jeanettebiedermann , @jorgweisselberg , robin, nadine und matthias alberti danke für eure hilfe!.. #antisemitismus #keinmillimeternachrechts

Gil Ofarim auf Instagram

Es folgte:

  • ein Shitstorm gegen das Westin Leipzig
  • eine Demo der Westin Mitarbeiter gegen Antisemitismus
  • eine weitere Demonstration gegen Antisemitismus
  • die Freistellung von zwei beschuldigten Mitarbeitern
  • eine Anzeige gegen Gil Ofarim durch einen der Mitarbeiter
  • und als Antwort eine Anzeige von Gil Ofarim gegen den Mitarbeiter

Ich möchte die einzelnen Schritte nicht bewerten. Ich möchte nur darauf Aufmerksam machen, dass Antisemitismus keinen Platz in unserem Land hat.

Was ist da falsch gelaufen?

Jetzt störe ich mich jedoch an einer Sache sehr, und das hat nichts mit dem Sachverhalt zu tun:

Wir leben in einem Rechtsstaat. Die beschriebene Behandlung am Check-in ist gesetzwidrig. Die Art der Anklage ist jedoch ebenfalls falsch.

Es gibt einen Rechtsweg, den muss man gehen. Eine Gruppe im Internet zu mobilisieren zählt nicht zu den adäquaten Mitteln in einem Rechtsstaat, völlig gleich, um welches Vergehen es sich handelt. Es geht hier weder um Täter- noch um Opferschutz, sondern um den richtigen Weg.

Dieses Vorgehen nützt denen, die Reichweite haben. Das heißt, wer am lautesten schreit, der bekommt Unterstützung und hat recht? Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger : So funktioniert das nicht.

Mit der derzeitigen Art der „Gerechtigkeit“ auf Social Media landen wir in einer Sackgasse. Es werden sich bei jedem Thema zwei Lager bilden. Dort werden immer die Meinungen unterstützt, die der Eigenen am ähnlichsten sind. Ohne Rücksicht auf die sonstige Gesinnung. Das ist mir zu gefährlich.

Wer Reichweite hat, hat auch Verantwortung! Und alle brauchen Umgangsformen und Anstand. Danke.

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